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Erzählwerkstatt


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Als wir 1993 die Antirassismusgruppe in der Jugendabteilung der JVA Köln begannen, nahmen an unserer Gruppe mehrheitlich Jugendliche ohne deutschen Pass teil. Dem entsprach die Zusammensetzung der Gefangenen in der Jugendabteilung – zeitweise hatten über 70% der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. In der Auseinandersetzung mit dieser Überrepräsentation in der Untersuchungshaft entstand 1997 unser „Kölner Stadtbuch Jugendkriminalität“. Der Untertitel lautet: „Gegen die Kriminalisierung von Jugendlichen“. Wir setzten uns in diesem Buch mit dem Prozess der Kriminalisierung von Jugendlichen in Köln im allgemeinen und mit der überproportionalen Kriminalisierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im besonderen auseinander.

Der Erlös aus dem Buch wurde zum Startkapital der „Kölner Rechtshilfe gegen Abschiebung von Gefangenen“, die sich auf unsere Initiative hin gründete. Wenn es uns schon nicht gelang durch politische Initiativen eine Gesetzesänderung herbeizuführen, die zur Abschaffung dieser Doppelbestrafung führte - für die wir die Abschiebungen auch heute noch halten -, dann wollten wir wenigstens dafür sorgen, dass die von Abschiebung bedrohten Gefangenen verteidigt werden konnten.

In den folgenden Jahren haben wir zwar einzelnen Gefangenen helfen können, aber die gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Kriminalität wurde immer mehr von „law and order“ bestimmt. In seinem Buch „Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft“ spricht Niels Christie davon, dass es in fast allen demokratischen Ländern zu einem fundamentalen Wechsel kam: von der wohlfahrtsstaatlich orientierten Auseinandersetzung mit delinquenten Verhalten zu immer mehr Kontrolle und Repression.

Ein Verbund aus Polizei, Medien und Politik – ein sich gegenseitig verstärkender Kreislauf - propagiert seit Jahren, dass Kinder und Jugendliche immer früher immer gewalttätiger würden. Und entsprechend drastisch fallen die Maßnahmen aus, die Abhilfe bringen sollen: Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf 12 Jahre, Herausnahme der Heranwachsenden aus dem Jugendstrafrechtspflege, schnellere und härtere Sanktionen und vieles andere mehr. Bei straffällig gewordenen Menschen ohne deutschen Pass wird nach immer umfassenderen und schnellen Möglichkeiten der Abschiebung gesucht.

In dieser auf immer härtere Repressionen setzenden Entwicklung kommen diejenigen nicht zu Wort, die es betrifft – die Gefangenen. Genau das wollen wir mit unserer Erzählwerkstatt ändern. Diese Gesprächsgruppe hat die Aufgabe ein Buch zu produzieren, das parteiisch aus der Sicht und in den Worten der inhaftierten Jugendlichen darstellen soll, wie sie die Haft erleben und was das Gefängnis mit ihnen macht.

Praktisch sieht das so aus: seit Anfang Juli 2005 treffe ich mich mit einer kleinen Gruppe inhaftierter Jugendlicher im Gruppenraum ihres Hafthauses und diskutiere mit ihnen ihr Leben im Gefängnis und die verschiedenen Delikte, die zur Inhaftierung geführt haben. Die Jugendlichen erfahren durch einen Aushang am Schwarzen Brett ihres Hafthauses von der Existenz der Gruppe und melden sich dazu per Antrag. Der für die Freizeitgestaltung zuständige Beamte wählt sie nach der Reihenfolge der Abgabe aus.
Die Gespräche werden auf Tonband aufgezeichnet, abgeschrieben und die wichtigsten Teile davon nach und nach zu einem Text zusammengefügt. Wir wollen damit für die Menschen außerhalb die Mauern einreissen und die Gitter wegnehmen, die den Blick auf die inhaftierten Jugendlichen versperren und verzerren.

Um die Erzählungen plastischer zu machen, haben wir die Erlaubnis beantragt und erhalten, von Jörg Hauenstein, einem professionellen Fotographen, die Räumlichkeiten hinter den Mauern zu fotographieren. Als er dann den Jugendlichen diese Fotos auf seinem laptop vorführte, haben sie sich gewünscht, selbst auch fotographiert zu werden. Es sollten nicht nur die leeren Zellen, leeren Gänge und leeren Höfe gezeigt werden, sie wollten, dass sie selbst vorkommen.

Wir versprechen uns von dieser Arbeit die Wahrnehmung der jugendlichen Gefangenen als die Jugendlichen, die sie sind. Die Leserinnen und Leser des Buches sollen nicht nur eine Ahnung davon bekommen, wie aus Kinder und Jugendliche in Schwierigkeiten, schwierige und schwierigste Jugendliche werden konnten. Wir hoffen auch, vermitteln zu können, dass die hohen Rückfallquoten darauf verweisen, dass etwas besseres gefunden werden muss, als die Einsperrung in die Zellengefängnisse. Es gibt längst viele erprobte Alternativen, um auf delinquentes Verhalten von Jugendlichen angemessen zu reagieren. Das falscheste ist die Zahl der Jugendgefängnisse weiter erhöhen. (Siehe USA, wo inzwischen mehr Geld für Gefängnisse als für Bildung ausgegeben wird.) Vor allem soll der gezielt inszenierte Eindruck zerstört werden, dass mit diesen Jugendlichen nicht mehr geredet werden kann. Tatsächlich haben sie uns viel zu sagen und bei der Regelung der in ihren Geschichten zum Ausdruck kommenden Probleme müssen sie beteiligt werden.
Wir danken „Wir helfen e.V.“ vom Kölner Stadt-Anzeiger für die Förderung dieses Projektes
Klaus Jünschke

PS
Die Mitarbeit von Jörg Hauenstein an dem Buch, das aus der Erzählwerkstatt entstehen wird, hat dazu geführt, dass es ab 2006 eine dritte Gruppe der Kölner Appell in der Jugendabteilung der JVA gibt: die Fotogruppe. In der von ihm geleiteten Gruppe lernen die teilnehmenden Jugendliche im Umgang mit einer Digitalkamera sich gegenseitig zu porträtieren, d.h. sich und die anderen genauer wahrzunehmen.